Die GOTIK erlebte in Vicenza eine bedeutende Entwicklung. Sie prägte in erster Linie die gesamte Erweiterung der Stadt selbst, im Zuge derer zur Zeit der Herrschaft der Carraresi (1266-1311), gefolgt von den Scaligeri (1311-1387) und schließlich ab 1404 von der Serenissima Repubblica, Stadtmauern errichtet wurden. Innerhalb dieser neu dimensionierten Stadt entstanden echte Meisterwerke der gotischen Baukunst, sowohl Zivil- als auch Sakralbauten.
Im Herzen des historischen Zentrums, im Bereich des Forum Romanum und auf dem Fundament des alten Rathauses, wurde im 15. Jahrhundert nach einem Entwurf von Domenico da Venezia in Anlehnung an den venezianischen Dogenpalast der gotische Palazzo della Ragione erbaut.
In früheren Zeiten, die jedoch stets in Verbindung mit der Durchsetzung der Gotik in der Stadt zu sehen sind, ließen die Dominikanermönche, die Franziskaner und die Eremitaner auf Ruinen aus dem 13. Jahrhundert herrliche Bauwerke errichten: den Tempio di S. Corona im Osten, eine hervorragende Interpretation der zisterziensischen Gotik; die Chiesa di S. Lorenzo im Norden, eine harmonische Synthese aus Romanik und Gotik; die Chiesa di S. Michele im Süden, die 1812 zerstört wurde.
Im Tal “Valle sotto i Berici” errichteten die Augustinermönche 1323 mit Unterstützung der Scaligeri und anderer Adeliger aus Vicenza und Verona die Badia di S. Agostino.
Vor den Stadttoren entstand der spätgotische Bauwerkskomplex des Monte Berico (1428-1467), der sich noch heute an der Seite des berühmten Barocktempels erhebt. In den vorstehend genannten Kirchen finden wir kostbare Zeugnisse gotischer Malerei, Bildhauerkunst und Goldschmiedekunst. In Santa Corona, 1260 von Beato Bartolomeo da Breganze gegründet, findet sich der Sarkophag von Marco Tiene mit dem Fresko von Michelino da Besozzo (der zwischen 1388 und 1450 arbeitete) mit einer Darstellung der Madonna con il Bambino, Santi e Offerente (Heilige Jungfrau mit Kind, Heiligen und Spender) und das zentrale Gemälde Madonna delle Stelle (Heilige Jungfrau der Sterne), das von Giovanni da Bologna in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts geschaffen wurde; ebenso wie der berühmte Reliquienschrein des Heiligen Dornenkranzes, der mit kostbaren Edelsteinen verziert ist und Fragmente des Kreuzes und des Dornenkranzes enthält, die der König von Frankreich Ludwig IX. Beato Bartolomeo da Breganze schenkte, der zwischen 1265 und 1270 Bischof von Vicenza war.
Die interessante Verschmelzung von Malerei und Bildhauerkunst bildet die Grundlage weiterer gotischer Schöpfungen: des steinernen Altarbilds Pala in Pietra di Vicenza von Antonino da Venezia, auf dem die Heilige Jungfrau mit Kind zwischen den Heiligen Peter und Paul dargestellt ist und das sich in der Kirche S. Lorenzo befindet. Von demselben Künstler stammt auch ein weiteres Altarbild aus bemaltem und vergoldetem Stein, das in der Kathedrale verwahrt wird. Die Kathedrale ist ein großes Bauwerk aus dem 15. Jahrhundert, das nach seiner Zerstörung durch die Bombenangriffe der Jahre 1944-1945 wieder aufgebaut wurde.
Ein weiteres Werk des Künstlers Da Venezia stammt aus der Kirche S.Pietro - wir finden es gemeinsam mit anderen Werken jener Epoche im Stadtmuseum Museo civico di Palazzo Chiericati ausgestellt.
In der Badia di S. Agostino sind ein Flügelaltar von Battista da Vicenza mit Miniaturbildern, ein Holzkruzifix von Antonino Da Venezia und ein wertvoller Freskenzyklus im Presbyterium mit Geschichten von der Heiligen Jungfrau und den Evangelisten zu besichtigen.
Eine weitere Etappe bildet die Chiesa di S. Maria delle Grazie, in der man eine interessante Statue der Heiligen Jungfrau mit Kind eines unbekannten Künstlers bewundern kann, der in den dreißiger Jahren des 15. Jahrhunderts arbeitete. Dieselbe Eleganz finden wir in zahlreichen gotischen Palästen, die in Vicenza insbesondere im 15. Jahrhundert zur Zeit der Herrschaft der Serenissima, die nicht nur einen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung, sondern auch fruchtbare kulturelle Kontakte brachte, errichtet wurden.
Herausragende gemeißelte und verzierte steinerne Fenster- und Torrahmen zeugen voller Stolz von der Raffinesse und dem Können der Handwerker früherer Zeiten.
Eine Besichtigung der gotischen Bauwerke lässt sich am besten an Hand zweier getrennter Rundgänge durchführen:
- den ersten auf der rechten Seite der Hauptstraßenachse, Corso Andrea Palladio, indem man den Ponte degli Angeli hinter sich lässt;
- den anderen auf der linken Seite.
Beim ersten Teil könnte der Rundgang am Oratorio dei Boccalotti, auf der Piazza S. Pietro, beginnen und zum Palazzo Regaù sowie in die Via XX Settembre führen. Von dort aus geht es nach einem Halt im Tempio di S. Corona weiter zum Palazzo Dal Toso Franceschini Da Schio, auch “Cà d'Oro” („Goldenes Haus“) genannt und von einem wunderschönen gemeißelten Portal verziert.
Wenn man dann den Rundgang in Richtung Stadtviertel („Contrà“) Giacomo Zanella fortsetzt, bemerkt man die prächtige Präsenz des Palazzo Sesso Zen. Von hier aus geht es weiter in Richtung Contrà Porti, wo die venezianische Gotik in den Palästen Porto-Bertolini, Porto-Colleoni und Porto-Breganze ihre herrlichste Ausdrucksform findet.
Beim Bummel über den Corso Palladio stechen der Palazzo Braschi-Brunello mit seinen eingemeißelten Medaillons männlicher Profile und der Palazzo Thiene ins Auge.
Der Rundgang könnte mit der Besichtigung der Kirche S. Lorenzo auf dem gleichnamigen Platz abgeschlossen werden.
Ein zweiter Rundgang könnte auf der Piazza dei Signori mit der Besichtigung des Turms Torre Bissara und des Palazzo della Ragione, der von einer später hinzugefügten palladianischen Loggia umgeben ist, beginnen.
Eine starke Konzentration gotischer Bauten fällt im Stadtviertel Barche auf, beginnend am Krankenhaus S. Valentino, zwischen Vicolo Retrone und Contrà delle Barche.
Im Stadtviertel („Contrà“) Piancoli stößt man auf Casa Scroffa Polazzo, und, unweit der schön gelegenen Brücke Ponte S. Michele, den Palazzo Garzadori Braga.
Und weiter geht es zu der legendären Casa Pigafetta in der gleichnamigen Straße, und in Richtung Contrà Paolo Lioy, um den Anblick der eleganten Fassade des Palazzo Garzadori Fattore zu genießen.
Im unweit gelegenen Viertel Contrà SS Apostoli fallen die interessante Fassade des Palazzo Sangiovanni und des Palazzo Squarzi Serini auf, bevor wir diesen angenehmen Spaziergang mit dem Palazzo Arnaldi Segala im Contrà Pasini abschließen.
In der Provinz ist auf ebenso bedeutsame gotische Bauten zu verweisen. In BASSANO DEL GRAPPA wird im Museo Biblioteca Archivio ein hölzernes Kruzifix von Guariento verwahrt, das signiert ist und sich in etwa auf 1332 datieren lässt, ebenso wie ein abgelöstes Fresko von Battista da Vicenza, auf dem die Nozze mistiche di S. Caterina (Mystische Hochzeit der Heiligen Katharina) dargestellt ist, Fragmente der Kreuzigung und ein kostbares Gemälde von der Heiligen Jungfrau mit Kind von Michele Giambono.
In BREGANZE befindet sich in der Casa Mater Amabilis, einem Haus, das ursprünglich Naimerio da Breganze, dem Schwiegersohn von Ezzelino da Romano III., gehörte, ein interessanter Fries mit Pflanzenmotiven, Putten und zoomorphen Figuren, der auf das 5.-6. Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts zurückgeht.
In NANTO fertigte ein unbekannter Künstler aus dem Umkreis des Michelino im Presbyterium der Kirche S. Maria ein Fresko “Annuncio ai Pastori e Santo” (Verkündigung an die Schäfer und Heiliger).
THIENE hält in der Kirche S.Vincenzo mit den Fresken der von der Familie Thiene in Auftrag gegebenen Kapelle des Presbyteriums vorzügliche Überraschungen bereit. Diese Malereien wurden von einem Schüler des Michelino da Besozzo gefertigt. In Giovanni Badile verdienen weitere zwei Malereien – "Storia della Vita di S. Vincenzo" (Lebensgeschichte des Heiligen Vincent) und “Adorazione dei Pastori“ (Anbetung der Schäfer) einen Besuch.
In ZUGLIANO ist in der Kirche S. Maria auf das Fresko eines venetischen Malers vom Anfang des 15. Jahrhunderts hinzuweisen, das die “Madonna in Trono con il Bambino e le Sante Chiara e Marta” (Heilige Jungfrau auf dem Thron mit dem Kind und die Heiligen Klara und Martha) darstellt.
Unweit von Zugliano, Ortsteil Grumolo di Pedemonte, befindet sich die Kirche S. Maria Maddalena mit dem kostbaren Flügelaltar von Santo Biagio mit einem schönen goldenen Rahmen. Im nahe gelegenen Ortsteil Centrale führte ein venetischer Künstler in der Kirche S. Clemente ein interessantes Kruzifix (1442) aus mit Temperafarben bemaltem Holz aus.
Eine weitere wichtige Etappe bildet das malerische Dorf VELO D'ASTICO, Ortsteil Seghe, wo man in der Kirche S. Giorgio aus dem 15. Jahrhundert einen sehr schönen Flügelaltar (1408) von Battista da Vicenza bewundern kann, ebenso wie den Freskenzyklus (1408-09) eines Veroneser Malers aus dem 15. Jahrhundert, mit dem die Lünetten und das Gewölbe der Kapelle S. Antonio der Grafen Velo verziert sind. Die Szenen stellen eine Begebenheit dar, die damals bei den Menschen besonders viel Faszination weckte, nämlich den Sieg des Heiligen Georg über den Drachen, weitere Darstellungen beziehen sich auf die Kreuzigung, Christi Geburt, die Auferstehung sowie das Grab Jesu und die Evangelisten.
Wir schließen unseren Ausflug mit einem Halt in ARZIGNANO, Ortsteil Castello, wo wir in der Kirche S. Maria ed Elisabetta das von Nicolò und Antonini da Venezia gemeißelte Altarbild, das die Heilige Jungfrau auf dem Thron mit dem Kind darstellt (1425), und den berühmten Flügelaltar eines Künstlers aus dem Umfeld des Squarcione, der in 14 Abteilungen auf zwei Ebenen aufgeteilt und mit einem prunkvollen vergoldeten und bemalten Rahmen verziert ist, bewundern wollen.